Praxisbeispiel | Das Gesamtplanverfahren beim Sozialpädagogischen Fachdienst im Fachamt Eingliederungshilfe Hamburg

Das Gesamtplanverfahren beim Sozialpädagogischen Fachdienst im Fachamt Eingliederungshilfe Hamburg

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Fachamt Eingliederungshilfe und Sozialpädagogischer Fachdienst

 

Das Fachamt Eingliederungshilfe in Hamburg ist zentral und damit bezirksübergreifend, für die Aufgaben der Eingliederungshilfe zuständig. Es gliedert sich im Wesentlichen in drei Fachdienste (FD). Durch den Sozialhilferechtlichen FD werden die sozialrechtlichen Voraussetzungen zum Antrag auf Eingliederungshilfe geprüft. Anschließend wird durch den Ärztlichen FD begutachtet, ob und wenn ja welche Art der Behinderung bei der antragsstellenden Person vorliegt, welche Teilhabeeinschränkungen aus ärztlicher Sicht bestehen und ob Teilhabeziele erreicht werden können.

Nach diesen Prüfungen wird der Sozialpädagogische FD/das Fallmanagement mit dem Gesamtplanverfahren beauftragt.

 

Im Sozialpädagogischen Fachdienst arbeiten derzeit ca. 90 Fallmanager/innen und eine Vollzeitkraft ist für etwa 280 Klienten/innen zuständig. Es wird angestrebt, die Fallzahlen durch Neugewinnung von Personal weiter zu reduzieren. Die wesentliche Aufgabe des Fallmanagement ist die Durchführung des Gesamtplanverfahrens, d. h. die Ermittlung des individuellen Unterstützungsbedarfes der Klient/innen, die Formulierung von Inhalten und Zielen sowie die dafür erforderlichen Leistungen. Hierzu werden regelhaft zu Beginn einer Hilfe Gesamtplangespräche mit den Klient/innen geführt. Das konsensorientierte Ergebnis wird im Gesamtplan dokumentiert – vergleichbar mit dem Hilfeplan in der Jugendhilfe. Anschließend wird die Eingliederungshilfe vom Sozialpädagogischen FD befürwortet und durch die Prüfung von Sozial- und Verlaufsberichten des Leistungsanbieters weiter begleitet (siehe Abb. „Ablauf des Gesamtplanverfahrens“, Quelle: BASFI FHH). Im Einzelfall können im Verlauf der Eingliederungshilfe weitere Gespräche stattfinden, z.B. um die Hilfe inhaltlich und im Umfang an den aktuellen Bedarf der Klient/innen anzupassen.

 

 

Ablauf des Gesamtplangespräches

 

Das Gesamtplangespräch bildet in Hamburg den Ausgangspunkt und Kern des Gesamtplanverfahrens. Zunächst erhalten die Klient/innen eine schriftliche Einladung mit einem Vorschlag zu Zeit und Ort. Die Gespräche finden überwiegend in den Räumlichkeiten des Fachamtes statt. Es ist jedoch auch möglich, an einem von den Klient/innen gewählten, vertrauten Ort oder in den Räumen des Leistungsanbieters (sofern bereits Kontakt besteht) zusammenzutreffen. Diese und die Möglichkeit, eine Vertrauensperson zu beteiligen, sollen den Klient/innen dabei helfen, sich auf die ungewohnte Situation einzulassen und zu einer guten Atmosphäre beitragen.

In der schriftlichen Einladung wird darüber hinaus der Zweck des Gespräches erläutert und verdeutlicht, dass es um den individuellen Unterstützungsbedarf der Klient/innen gehen wird sowie die persönlichen Wünsche und Ziele, die sie mit der beantragten Eingliederungshilfe erreichen wollen.

Zu Beginn eines Gespräches erläutere ich den Klient/innen dann zunächst meine Rolle und Aufgaben. Häufig zeige ich ihnen das Gesamtplanformular, in das später alle besprochenen Themen eingetragen werden. Da Klient/innen mitunter sehr nervös sind, betone ich ausdrücklich, dass es ihnen freisteht, was sie von sich erzählen möchten und dass sie signalisieren können und sollen, wenn sie zu bestimmten Fragen keine Auskunft geben möchten.

 

Das Gesamtplangespräch dient wie bereits erwähnt der gemeinsamen Ermittlung der Ressourcen, des Unterstützungsbedarfes und der Ziele der Klient/innen. Im Gespräch orientiere ich mich dabei im Wesentlichen an den neuen Lebensbereichen des Hamburger Gesamtplanformulars und nutze es als eine Art Leitfaden zur Strukturierung. Diese neun Lebensbereiche sind an die Komponente Aktivtäten und Partizipation der ICF angelehnt:

 

  • Wohnen,
  • Alltägliche Lebensführung,
  • Basisversorgung,
  • Emotionale und psychische Situation,
  • Gesundheitsförderung,
  • Soziale Beziehungen,
  • Kommunikation u. Orientierung,
  • Kulturelles und gesellschaftliches Leben,
  • Lernen/Ausbildung/Arbeit.

 

So wird im Gespräch zum Beispiel für den Lebensbereich „Wohnen“ die Ist-Situation (Ressourcen und Unterstützungsbedarf) der Klient/innen thematisiert. Sofern Unterstützungsbedarf vorhanden ist, wird gemeinsam ein allgemein gehaltenes Leitziel formuliert. Anschließend werden konkrete Ziele für den Befürwortungszeitraum vereinbart und nach den SMART-Kriterien ausformuliert. Diese Ziele im Gespräch zu ermitteln, kann sowohl für die Klient/innen als auch für mich als Fallmanagerin eine Herausforderung darstellen. Zum einen, da sie mitunter noch keine genauen Ziele für sich formulieren können. Zum anderen da die Ziele immer im Hinblick auf die zu befürwortende Hilfe hin überprüft und an die SMART-Kriterien angelegt werden müssen.

 

Entlang der neun Lebensbereiche kann auf diese Weise eine umfassende Bedarfsermittlung erfolgen. Insgesamt dauert ein Gesamtplangespräch zwischen einer halben und anderthalb Stunden.

Zum Ende fasse ich die wichtigsten Punkte nochmals zusammen und erkläre den Klient/innen das weitere Vorgehen; dass ich das Gespräch verschriftliche und sie die Möglichkeit haben, Ergänzungen oder Änderungen vorzunehmen. Hierfür erhalten Sie mit dem Gesamtplan einen Rückmeldebogen, die s.g. „Erklärung der/des Leistungsberechtigten“ (siehe Abb. „Erklärung der/des Leistungsberechtigten“). Auf dieser Erklärung können sie vermerken, ob sie mit den Inhalten und Zielen einverstanden sind und wenn nicht, an welchen Stellen sie Änderungen vornehmen wollen. Die „Erklärung der/des Leistungsberechtigten“ ist nicht verpflichtend abzugeben. Es wird aber großen Wert auf die Rückantwort der Klient/innen gelegt, da sie hierüber nochmals die Möglichkeit haben, sich aktiv an der Gesamtplanung zu beteiligen.

Gleichzeitig ist zu bedenken, dass das gesamte Verfahren (Antragstellung, Gespräch, Aufforderung zur Rückmeldung) für sie eine hohe Anforderung darstellen kann (u.a. aufgrund der sehr persönlichen Themen, der Dauer des Gespräches, Nervosität).  Umso wichtiger ist es daher, stets auf klientengerechte Formulierungen zu achten und z.B. auch besonders prägnante Aussagen der Klient/innen in die Dokumentation einfließen zu lassen, damit sie sich im Gesamtplan tatsächlich wiederfinden können.

Wenn die Rückmeldung erfolgt ist und keine Einwände vorliegen, wird die Eingliederungshilfe wie im Gesamtplan vereinbart geleistet. Nur sehr selten bestehen wesentliche inhaltliche Änderungswünsche, die ein erneutes Gespräch zur Klärung notwendig machen.

 

Damit die hier angeführten Beteiligungsmöglichkeiten am Gesamtplanverfahren wahrgenommen werden können, sind verschiedene Aspekte wichtig. Zunächst müssen die Klient/innen ihre Rechte und Möglichkeiten kennen. Hier kommt dem Fallmanagement im ganzen Prozess die wichtige Aufgabe zu, Transparenz zu schaffen, d.h.

  • zu informieren und zu beraten über das Verfahren, Möglichkeiten der Eingliederungshilfe und ggf. weiterführende Hilfen,
  • zu informieren über Einspruchs- und Verweigerungsrechte im Verfahren,
  • sowie die Klient/innen in den Mittelpunkt des Verfahrens zu stellen

 

Gleichzeitig setzt das beschriebene Gesamtplanverfahren bestimmte Ressourcen bei den Klient/innen voraus, damit diese ihre Beteiligungsmöglichkeiten nutzen können. Bei eingeschränkter oder fehlender Lautsprache bspw. gilt es, ein Setting zu schaffen, in dem Methoden und/oder Hilfsmittel dazu beitragen, Beteiligung auf verschiedenen Wegen sicherzustellen.

Katharina Sipsis

Sozialpädagogischer Fachdienst im Fachamt Eingliederungshilfe Hamburg

Fallmanagerin

Bundesland
Hamburg
Stand der Informationen
21.04.2023